Woran scheitert klimafreundliches Verhalten im Alltag und Beruf? – Interview mit Psychologe Prof. Thomas Brudermann

Wissenschaft und Politik sind sich einig: Der globale Klimawandel ist für uns als Menschheit und unsere Umwelt zu einem existenziellen Problem geworden. Der zunehmende Handlungsdruck erfordert deshalb mehr und mehr konkretes Handeln sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf individueller Ebene.

In früheren Beiträgen haben wir uns bereits damit beschäftigt, wie Unternehmen ihre CO2-Bilanz systematisch ermitteln können, welche zentralen Fragen dabei beantwortet werden sollten und welche Tools zur Berechnung geeignet sind. Außerdem haben wir uns damit befasst, wie betriebliche Maßnahmen zum Klimaschutz Schritt für Schritt umgesetzt werden können.

CO2-Bilanzen, Zielsetzungen und Maßnahmenpläne sind zweifelsohne wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche unternehmerische Klimaschutzstrategie. Bei der praktischen Umsetzung von Klimaschutz im (Arbeits-)Alltag ist es zumeist jedoch genauso wichtig, psychologische Faktoren auf individueller Ebene (z.B. bei Führungskräften und Mitarbeitenden) im Auge zu behalten. Dazu gehört es einerseits die Motivation von Menschen für Nachhaltigkeit zu hinterfragen und andererseits psychologische Barrieren für klimafreundliches Verhalten im Alltag und Beruf abzubauen.

Wir haben deshalb mit Prof. Thomas Brudermann, promovierter Psychologe und Professor für Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Graz in Österreich, über das menschliche Entscheidungsverhalten beim Klimaschutz im Alltag und die Voraussetzungen für mehr klimafreundliches Verhalten im Alltag und Beruf geredet.

Inhalt

Hintergrund

Die Kreuzfahrt in der Karibik, das Rindersteak im Restaurant, der schnelle Kaffee aus der Kapselmaschine: Wir sind uns der dahinterstehenden Problematik meistens bewusst und würden gerne mehr im Sinne des Klimaschutzes handeln, aber oft klappt es einfach nicht. Den “inneren Schweinehund” kennen wir alle, nicht nur, wenn es um die Umwelt geht.

klimafreundliches verhalten im alltag und beruf
Schwierigkeitsgrad und Wirksamkeit klimafreundlichen Handelns im Alltag und Beruf

Der Psychologe Thomas Brudermann weiß um die unzähligen Ausreden, die wir parat haben, wenn Klimaschutz zu anstrengend und unbequem wird. In seinem Buch »Die Kunst der Ausrede« nimmt er die verbreitetsten Ausreden in den Fokus, die einem klimafreundlichen Verhalten auf der persönlichen Ebene im Weg stehen und bringt Licht in die dahinterliegenden psychologischen Muster.

Im Interview mit plant values erklärt er, warum uns das vermeintlich richtige Verhalten oft so schwerfällt, wie wir unseren inneren Schweinehund vielleicht doch austricksen können und gibt Tipps für Unternehmen.

In seiner Forschungsarbeit und Lehrtätigkeit beschäftigt sich Prof. Thomas Brudermann mit verschiedenen Themen aus Umwelt- und Klimapsychologie, Wirtschaftspsychologie, Verhaltensökonomie und Nachhaltigkeitsforschung. Einen besonderen Fokus legt er dabei auf Entscheidungsverhalten von Bürgerinnen, Konsumenten, Haushalten und Organisationen.

Im Bereich Science2Public hält er Vorträge/Interviews zu Themen wie Nachhaltigkeit, Klimapsychologie, Entscheidungsverhalten oder Massenpsychologie.

Das Interview

Wie kam es dazu, dass du ein Buch zu klimafreundlichem Verhalten im Alltag und Beruf geschrieben hast?

„Ich beschäftige mich seit über 10 Jahren in meiner universitären Forschung und Lehre mit folgender Frage: Wie kommt es, dass viele Menschen irgendwie umwelt- und klimafreundlich eingestellt sind, und trotzdem gerade den Planeten verheizen, den Verlust von ganzen Ökosystemen in Kauf nehmen und unserer Nachfolgegeneration einen ökologischen Scherbenhaufen hinterlassen? Das passt ja eigentlich nicht zusammen.

Es gibt da natürlich Strukturen, die diese katastrophalen Entwicklungen fördern, aber auch auf individueller Ebene passiert sehr wenig. Die Menschen sorgen sich ums Klima und fliegen trotzdem zwei Mal im Jahr in den Urlaub, essen Steaks und kaufen sich unnötig viele Autos. Das müsste eigentlich bei uns allen einen massiven inneren Widerspruch auslösen. Tut es aber kaum. Wir finden genügend Gründe für das, was wir tun oder nicht tun. Manche Gründe sind vielleicht legitim, aber viele stammen aus dem Reich der Ausreden. Geschrieben habe ich das Buch durch eine eher zufällige Inspiration – ich habe letztes Jahr einer Tageszeitung ein Interview gegeben, und die Schlagzeile dazu lautete ‘Schöne Ausreden für Klimasünden’. ‘Darüber sollte ich ein Buch schreiben’, habe ich mir beim Lesen gedacht, und es dann auch getan.“

Welche Erfahrungen aus der Forschung und deinem privaten Alltag sind in dein Buch eingeflossen?

„Es sind über 100 Studien und meine eigene Forschungsarbeit in das Buch eingeflossen. ‘Die Kunst der Ausrede’ soll sich aber nicht wie ein Wissenschaftsbuch lesen. Davon gibt es genug und nur die wenigsten davon liest man mit Freude, gerade wenn es ums Klimathema geht. Eher im Gegenteil, es besteht bei dem Thema immer akute Frustrations- und Depressionsgefahr. Deshalb veranschauliche ich die wissenschaftlichen Erkenntnisse mit Anekdoten und persönlichen Erlebnissen. Selbstironie und Humor kommen dabei nicht zu kurz, denn das Thema ist ohnehin ernst genug. Ich finde man darf auch bei ernsten Themen lachen, vor allem wenn es zum Nachdenken anregt.“

Kannst du uns eine Kostprobe deiner eigenen Erkenntnisse geben?

„Ich glaube alle von uns sind schon mal in die Falle des ‘moralischen Lizensierens’ getappt. Das ist ein gut dokumentiertes Phänomen: Man verhält sich in ein paar Bereichen umweltfreundlich und gönnt sich dafür gelegentlich einen Überseeflug – ohne schlechtes Gewissen. Diese Logik scheint auch unter Nachhaltigkeitsforscher*innen ziemlich verbreitet zusein: ‘Wir müssen ja zu Konferenzen fliegen, wir arbeiten an wichtigen Themen, mit denen wir einen positiven Beitrag leisten.’ Ich habe mir am Beginn meiner wissenschaftlichen Karriere meine Flüge auch auf diese Weise schöngeredet. Irgendwann musste ich dann aber doch einsehen, dass das eigentlich eine ziemlich billige Ausrede mit viel Scheinheiligkeit ist.“

klimafreundliches verhalten im alltag und beruf
Moralisches Lizenzieren“ beim klimafreundlichen Verhalten im Alltag und Beruf

Welche sind deine Top 3 der beliebtesten Ausreden?

„Ich selbst habe keine Lieblingsausreden. Ich habe mich mit allen eingängig beschäftigt, und das hat einen ‘Nachteil’: Ich glaube mir meine eigenen Ausreden nicht mehr.

Die beliebtesten Ausreden, die mir begegnen, sind aber:

‘Ich bin ja schon umweltfreundlich, ich trenne meinen Müll.’,

‘In China/Indien/Afrika ist es ja viel schlimmer!’ oder

‘Es ist sowieso schon zu spät.’

Alle drei Ausreden sind zwar Selbstlügen, aber auch irgendwo menschlich – sie lassen sich gut mit psychologischen Effekten erklären.“

Wenn wir die zweite Aussage mit Blick auf andere Länder wie China aufgreifen: Welcher psychologische Effekt steckt denn dahinter?

„Es gibt in der Psychologie den Effekt der ‘Umweltweitsichtigkeit’. Dieser beschreibt die Tendenz, Umweltprobleme wo anders als schlimmer zu erachten als die Probleme vor Ort. Steigende Emissionen in China werden dann als schlimm empfunden, die seit 1995 gestiegenen CO2-Emissionen aus dem Verkehr hierzulande aber nicht. Irgendwie ist das praktisch: Wo anders können wir nichts tun. Hierzulande müssen wir nichts tun.“

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Handlungsdruck und Bequemlichkeit beim klimafreundlichen Verhalten um Alltag und Beruf (Quelle: www. klimapsychologie.com)

Liegt die Untätigkeit beim Klimaschutz daran, dass wir evolutorisch gesehen irgendetwas in unseren Genen verankert haben?

„Wenn wir menschliches Verhalten verstehen wollen, dann müssen wir uns zwei Dinge ansehen: Erstens die Kognition, die ganzen psychologischen Variablen wie Einstellungen, Wahrnehmung, Absichten, usw. Damit alleine kommen wir aber nicht weit. Noch wichtiger sind meiner Einschätzung nach zweitens die Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Entscheidungen passieren. Das sind Strukturen, soziale Praktiken, Marktmechanismen. Viele dieser bestehenden Rahmenbedingungen und Strukturen sind klimaschädlich. Da kann ich mich als Konsument oder Bürgerin tatsächlich leicht rausreden, wenn ich nicht klimafreundlich bin. Wir brauchen nicht nur Information und mehr Problembewusstsein. Wir brauchen vor allem Rahmenbedingungen, die uns Klimafreundlichkeit leichter machen und die Ausreden schwerer.“

Was wäre denn eine wichtige Rahmenbedingung für mehr klimafreundliches Verhalten?

„Nehmen wir das Beispiel Ernährung: Wenn ich mich klimafreundlich vegan ernähren will, dann kann das mancherorts ganz schön schwierig sein: Pflanzenbasierte Produkte sind nicht nur schlechter verfügbar, sondern auch teurer als subventioniertes Hühner- oder Schweinefleisch. Wenn es in der Kantine aber eine große Auswahl leckerer Pflanzengerichte gibt, dann reduziert das automatisch den Fleischkonsum.

Auch bei der Mobilität ist die klimaschädliche Option oft günstiger, bequemer, schneller. Wenn ich zum Beispiel per Bahn von Antwerpen nach Wien will, muss ich zwei Tickets auf zwei verschiedenen Plattformen buchen. Und gerade in Deutschland kann es schon mal passieren, dass man um 1 Uhr morgens im Januar zwei Stunden am eiskalten Bahnsteig auf den verspäteten Nachtzug wartet. Klimafreundlichkeit muss einfach attraktiver und auf allen Ebenen leichter werden.“

Siehst du die Verantwortung für mehr klimafreundliches Verhalten im Alltag und Beruf eher bei jeder/jedem Einzelnen oder eher bei staatlichen Institutionen?

„Da wird der Ball gerne hin und her gespielt, und das bringt uns nicht weiter. Natürlich stehen Staat und Unternehmen in der Verantwortung beim Schaffen nachhaltigerer Rahmenbedingungen. Als Bürger*in kann ich das einfordern. Ich kann aber auch in meinem eigenen Lebensbereich Beiträge leisten. Ich muss nicht auf den Staat warten, um den Konsum von Fleisch zu reduzieren oder einzustellen. Das schaffe ich alleine auch. Und ich kann die Newsletter der Fluglinien auch abbestellen und muss auf Instagram nicht den ganzen Influencer*innen folgen, die ständig Bilder von exotischen Destinationen posten.“

klimafreundliches verhalten im alltag und beruf
Schwierigkeitsgrad und Klimawirkung langfristiger Entscheidungen im Alltag und Beruf

Was würdest du Unternehmen raten um den „inneren Schweinehund“ von Mitarbeitenden zu überwinden und sie zum Klimaschutz zu motivieren?

„Das steht und fällt mit dem Commitment der Führungsebene. Wenn die Geschäftsführung mit dem Jaguar zur Arbeit kommt, wieso sollen dann die Mitarbeitenden den ÖPNV nutzen? ‘Leading by example’, mit gutem Beispiel vorangehen, bewirkt weit mehr als der moralische Zeigefinger. Und dann kann man natürlich für Rahmenbedingungen sorgen, die den Mitarbeitenden Klimafreundlichkeit so leicht wie möglich machen: Wenn möglich überdachte Fahrradparkplätze, vielleicht sogar Dienstfahrräder. Die Zeit im öffentlichen Verkehr könnte man als Arbeitszeit anrechnen. Ein attraktives veganes Angebot in Betriebsküchen. Besprechungen verstärkt digital – für eine Stunde Besprechung muss man nicht zwei Stunden Autofahren oder gar ins Flugzeug steigen. Es gibt in Unternehmen enorme Potentiale, wenn man nur will. Und die meisten Emissionseinsparungen haben ja auch positive Nebenwirkungen: Nach dem veganen Mittagessen sind die Mitarbeitenden leistungsfähiger als nach einem Schweinebraten, Radfahrer*innen sind gesünder als Autofahrer*innen. Und digitale Meetings sparen enorm viel Arbeitszeit. Man sollte Klimaschutz nicht automatisch als Belastung und Einschränkung wahrnehmen. Klimaschutz kann auch sehr gewinnbringend sein.“


Wir danken Thomas Brudermann ganz herzlich für das Interview. Für weitergehende Informationen zu klimafreundlichem Entscheidungsverhalten im Alltag und Beruf und die „Kunst der Ausrede“ empfehlen wir Thomas Brudermanns Talk im Rahmen des TEDx-Events in Haslach.

Mehr zu Klimaschutz im Unternehmenskontext lesen Sie hier in unserem Blog:

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Ich stehe mit Rat und Freude bereit.

Matthias Damert
Themenbereiche Nachhaltigkeits-, Klima- und Energiemanagement

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