Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse: Häufige Fragen und Antworten

Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse ist ein zentraler Bestandteil der CSRD-Berichtspflichten und für viele Unternehmen eine Herausforderung. In unseren Beratungsprojekten begegnen uns immer wieder ähnliche Fragen: Wie grenzen wir die Wertschöpfungsketten sinnvoll ab? Wie identifizieren wir wesentliche Auswirkungen, Risiken und Chancen? Welche Stakeholder sollten wir einbinden?

Um Klarheit zu schaffen, haben wir die häufigsten Fragen entlang der sechs wesentlichen Schritte einer doppelten Wesentlichkeitsanalyse gesammelt:

Inhalt

Dieser Blogbeitrag bietet praxisnahe Antworten und Orientierung für Unternehmen, die ihre doppelte Wesentlichkeitsanalyse strukturiert und effizient durchführen möchten.

Für Anfänger*innen beim Thema doppelte Wesentlichkeitsanalyse und CSRD-Berichtspflichten empfehlen wir als ersten Überblick unseren Blogbeitrag „Einblicke in die doppelte Wesentlichkeitsanalyse nach den European Sustainability Reporting Standards (ESRS)”. Umfangreichere Leitfäden, die wir gemeinsam mit dem Stadtwerkenetzwerk ASEW (Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung) erarbeitet haben. sind in unserem Blogbeitrag „Leitfäden doppelte Wesentlichkeitsanalyse” zum kostenfreien Download verfügbar.

Wertschöpfungsketten: Abgrenzung und Herausforderungen

Ein zentraler erster Schritt in der doppelten Wesentlichkeitsanalyse ist die Definition der Wertschöpfungsketten (WSK). Dabei stellen sich Unternehmen oft die Frage, welche Wertschöpfungsketten berücksichtigt werden und wie tiefgehend die Analyse erfolgen muss.

Müssen alle Wertschöpfungsketten betrachtet werden?

Ja, grundsätzlich sollten alle Wertschöpfungsketten in der Wesentlichkeitsanalyse betrachtet werden. Falls einzelne Wertschöpfungsketten im Wesentlichkeitsprozess ausgeschlossen werden sollen, empfehlen wir eine fundierte Begründung. Diese sollte darlegen, warum weder die finanzielle Relevanz (Outside-In-Betrachtung) noch die Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft (Inside-Out-Betrachtung) gegeben sind.

Wo endet die nachgelagerte Wertschöpfungskette bei Dienstleistungsprodukten?

Nach unserer Einschätzung endet die nachgelagerte Wertschöpfungskette bei der Nutzung der Dienstleistung durch den Kunden. Beispielsweise wäre dies bei einer IT-Dienstleistung die Phase, in der Kunden das System aktiv nutzen.

Wie umgehen mit intransparenten Wertschöpfungsketten?

Nicht immer sind vollständige Informationen zu allen Stufen der Wertschöpfungskette verfügbar. In solchen Fällen empfiehlt sich ein transparenter Umgang mit Intransparenzen. Unternehmen können auf Sektor- oder Näherungswerte zurückgreifen, um Lücken in der Datenverfügbarkeit, auch bei der späteren Berichterstattung, zu schließen (siehe ESRS 1 5.2. RdNr. 68 ff.).

Wie stark kann die Wertschöpfungskette abstrahiert werden?

Es gibt keine festgelegte Vorgabe zur zulässigen Abstraktionstiefe. Entscheidend ist, dass die Wertschöpfungskette für Dritte nachvollziehbar bleibt und klar wird, wie sich die vorgelagerte, eigene und nachgelagerte WSK zusammensetzen (siehe ESRS 1 AR 12 für Beispiele zur Tiefe der WSK-Betrachtung).

Können bestehende Analysen aus anderen regulatorischen Anforderungen genutzt werden?

Ja, bereits bestehende Wertschöpfungsketten-Betrachtungen, z. B. aus Umweltmanagementsystemen (UMS) oder dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), können in der Wesentlichkeitsanalyse hilfreich sein. Allerdings fokussiert das LkSG primär die vorgelagerte WSK, sodass die eigene und nachgelagerte Wertschöpfungskette oft nicht in gleicher Tiefe betrachtet wurden.

Besondere Herausforderungen bei allgemeinen Produkten wie Strom, Wärme oder Wasser

Die nachgelagerte Wertschöpfungskette von allgemein genutzten Produkten wie Strom oder Wasser ist schwer einzugrenzen. Hier kann die Nutzung eine Rolle spielen – zum Beispiel, ob Strom für ein Krankenhaus, eine energieintensive Produktion oder die Abholzung von Wäldern genutzt wird. Da es hierzu keine eindeutige Vorgabe gibt, empfiehlt sich eine Abstimmung mit den zuständigen Wirtschaftsprüfern, um den erforderlichen Detaillierungsgrad vorab zu klären (siehe ESRS 1 AR 12 b für eine weitgehende Betrachtung der nachgelagerten WSK).

Die Definition und Abgrenzung der Wertschöpfungsketten bildet die Basis für die folgenden Schritte der Wesentlichkeitsanalyse. Unternehmen sollten daher frühzeitig klären, welche Detailtiefe erforderlich ist und wie vorhandene Daten bestmöglich genutzt werden können.

Identifikation von Auswirkungen, Risiken und Chancen (IROs): Welche Aspekte sind relevant?

Nachdem die Wertschöpfungsketten definiert wurden, folgt im zweiten Schritt der Wesentlichkeitsanalyse die Identifikation von Auswirkungen, Risiken und Chancen (IROs). Dabei tauchen häufig Fragen auf, insbesondere zur Abgrenzung negativer und positiver Auswirkungen, zur Nutzung bestehender IRO-Listen und zur Notwendigkeit der Stakeholder-Einbindung.

Maßnahmen gegen negative Auswirkungen als positive Auswirkungen listen?

Nein, Maßnahmen zur Reduzierung negativer Auswirkungen sollten nach unserer Einschätzung nicht als eigenständige positive Auswirkungen erfasst werden. Sie dienen vielmehr dazu, die Bewertung negativer Auswirkungen anzupassen – etwa durch die Senkung der Bewertungsfaktoren Ausmaß, Umfang, Unabänderlichkeit oder der Eintrittswahrscheinlichkeit. Ein Beispiel ist die Reduktion von Treibhausgasemissionen: Diese verringert eine negative Auswirkung, stellt aber erst dann eine positive Auswirkung dar, wenn zusätzlich aktiv Emissionen aus der Atmosphäre entnommen werden.

Können IRO-Listen anderer Unternehmen übernommen werden?

IRO-Listen anderer Unternehmen können als Orientierung dienen, insbesondere wenn vergleichbare Geschäftsmodelle und Rahmenbedingungen vorliegen. Allerdings sollten sie stets auf die eigene Unternehmenssituation überprüft und nicht unreflektiert übernommen werden. Insbesondere die Wesentlichkeitsbewertung der IROs sollte individuell durchgeführt werden, da sich unternehmensspezifische Umstände erheblich unterscheiden können.

Können IROs vor der Wesentlichkeitsbewertung ausgeschlossen werden?

Ein IRO sollte nur dann bereits vor der Wesentlichkeitsbewertung ausgeschlossen werden, wenn nachweislich belegt werden kann, dass es in Verbindung mit der eigenen Geschäftstätigkeit nicht auftritt. Ist ein IRO lediglich von geringer Relevanz, empfehlen wir es dennoch in der Wesentlichkeitsbewertung zu berücksichtigen und entsprechend niedrig zu bewerten, anstatt es vollständig auszuschließen.

Müssen Stakeholder aktiv in die IRO-Findung eingebunden werden?

Die ESRS verlangen die Berücksichtigung von Stakeholder-Interessen im Wesentlichkeitsprozess, geben aber keine starren Vorgaben zur Einbindungsmethodik. Unternehmen können daher selbst entscheiden, wie sie Stakeholderperspektiven einfließen lassen. Das nächste Kapitel zeigt mögliche Wege der Stakeholder-Einbindung in den Bewertungsprozess.

Gibt es immer ein Risiko zu jeder negativen Auswirkung – und immer eine Chance zu jeder positiven?

Nicht zwangsläufig, aber in den meisten Fällen bestehen Rückkopplungseffekte zwischen Auswirkungen, Risiken und Chancen.

  • Negative Auswirkungen können finanzielle Risiken nach sich ziehen. Ein Beispiel ist der Ausstoß von klimaschädlichen Emissionen: Dies kann regulatorische Kosten (z. B. CO₂-Bepreisung) oder Reputationsrisiken nach sich ziehen.
  • Positive Auswirkungen können finanzielle Chancen erzeugen. Ein Unternehmen, das gezielt nachhaltige Innovationen vorantreibt, kann sich dadurch Wettbewerbsvorteile sichern.

Die ESRS greifen dieses Prinzip mehrfach auf und betonen, dass Unternehmen diese Wechselwirkungen systematisch erfassen sollten.

Stakeholder-Einbindung: Welche Methoden sind sinnvoll?

Ein zentraler Bestandteil der Wesentlichkeitsanalyse ist die Einbindung von Stakeholdern. Die ESRS definieren zwei Hauptgruppen von Stakeholdern auch Interessenträger genannt:

  • Betroffene Interessenträger: Einzelpersonen oder Gruppen, deren Interessen durch die Geschäftstätigkeit des Unternehmens direkt oder indirekt beeinflusst werden – positiv oder negativ. Dazu zählen z. B. Mitarbeitende, Kund*innen, Zulieferer oder lokale Gemeinschaften.
  • Nutzer von Nachhaltigkeitserklärungen: Dazu gehören Finanzmarktakteure wie Investorinnen, Kreditgeber und Versicherungen, aber auch Geschäftspartner, Gewerkschaften, NGOs, Regierungen, Wissenschaftlerinnen und Analyst*innen.

Sind Stakeholder zwingend einzubinden?

Die ESRS (1, 3.1, RdNr. 24) betonen die zentrale Rolle der Stakeholder-Einbindung. Die Zusammenarbeit mit betroffenen Interessenträgern ist essenziell, um die Sorgfaltspflichten eines Unternehmens zu erfüllen und wesentliche nachhaltigkeitsbezogene Themen zu identifizieren. Insbesondere für die Ermittlung und Bewertung negativer Auswirkungen empfehlen wir die Einbindung, um eine fundierte Wesentlichkeitsanalyse sicherzustellen.

Drei Wege zur Stakeholder-Einbindung

Es gibt verschiedene Methoden, um Stakeholder in den Wesentlichkeitsprozess einzubeziehen. Welche am besten geeignet ist, hängt zum einen ab von den Unternehmenszielen, die mit der Einbindung erreicht werden sollen und zum anderen von den Stakeholdergruppen.

1️⃣ Einbindung über Repräsentant*innen

Diese Methode eignet sich, wenn die Wesentlichkeitsbewertung klar strukturiert und unabhängig von Rücklaufquoten erfolgen soll. Der Prozess läuft in drei Schritten:

  1. Relevante Stakeholdergruppen definieren
  2. Geeignete Repräsentant*innen für jede Gruppe auswählen
  3. Diese aktiv in den Wesentlichkeitsbewertungsprozess einbinden

Diese Methode sorgt für eine fokussierte und gut planbare Einbindung und bietet eine hohe Konsistenz in den Ergebnissen.

2️⃣ Einbindung mittels Umfragen

Wenn Stakeholdergruppen keine Expert*innen sind, aber zur Feinjustierung der Wesentlichkeitsbewertung beitragen sollen, bietet sich eine kurze Umfrage an.

  1. Stakeholdergruppen identifizieren
  2. In einer kompakten Befragung ihre Einschätzung zur Relevanz der identifizierten IROs einholen
  3. Die Ergebnisse insbesondere für die Bewertung finanzieller Risiken und Chancen (z. B. Reputationsrisiken) nutzen

Diese Methode ist besonders geeignet, wenn eine breite Stakeholdergruppe einbezogen werden soll, aber keine tiefergehende Analyse durch die Stakeholder erforderlich ist.

3️⃣ Detaillierte, dialoggestützte Einbindung

Wenn Stakeholdergruppen über hohe Expertise verfügen und direkt in die Wesentlichkeitsbewertung einbezogen werden sollen, ist ein dialoggestützter Ansatz empfehlenswert.

  1. Stakeholdergruppen definieren
  2. In Workshops oder umfassenden Umfragen eine vollständige Wesentlichkeitsbewertung der IROs durch Stakeholder durchführen lassen
  3. Die eigenen Bewertungen durch Stakeholder-Ergebnisse erweitern und Lücken schließen

Diese Methode eignet sich insbesondere für Branchenverbände, Wissenschaftler*innen oder spezialisierte NGOs, die fundierte Analysen beitragen können.

Fazit

Die Wahl der richtigen Stakeholder-Einbindungsmethode hängt von den Unternehmenszielen und den spezifischen Stakeholdergruppen ab. Während eine Einbindung über Repräsentant*innen eine klare und effiziente Struktur schafft, ermöglichen Umfragen eine breite Beteiligung. Für tiefgehende Analysen und fundierte Einschätzungen ist eine dialoggestützte Einbindung besonders wertvoll. Unternehmen sollten daher eine Kombination dieser Methoden in Betracht ziehen, um eine aussagekräftige und belastbare Wesentlichkeitsanalyse zu gewährleisten.

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Bewertung von Auswirkungen: Wie gelingt eine fundierte Einschätzung?

Die Bewertung von Auswirkungen ist ein zentraler Schritt der doppelten Wesentlichkeitsanalyse. Doch viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung, dass sie nicht für jede Wertschöpfungskette detaillierte Lebenszyklusanalysen oder umfassende Daten vorliegen haben. Wie kann unter diesen Bedingungen dennoch eine valide Bewertung erfolgen?

Strukturierter Ansatz für die Bewertung

Nach unserer Erfahrung kann ein pragmatischer Ansatz helfen, auch ohne umfassende Analysen eine fundierte Bewertung vorzunehmen:

1️⃣ Existiert überhaupt eine Auswirkung? – Im ersten Schritt wird eine Ja/Nein-Frage beantwortet: Gibt es eine erkennbare Auswirkung auf Umwelt oder Gesellschaft? Falls nein, kann das Thema möglicherweise ausgeschlossen werden.

2️⃣ In welchem Zustand befindet sich das betroffene Ökosystem oder soziale System? – Wenn eine Auswirkung besteht, sollte bewertet werden, ob das betroffene System bereits über seine Belastungsgrenzen hinausgeht. Ist dies der Fall, kann allein aus diesen beiden Antworten eine hohe Relevanz abgeleitet werden.

3️⃣ Vertiefung der Analyse – Falls das System noch nicht überlastet ist, sollten weitere Fragen einbezogen werden, die auf eine erhöhte Schwere der Auswirkungen hinweisen könnten. Dazu gehören unter anderem:

  • Gibt es strenge gesetzliche Grenzwerte oder harte behördliche Überprüfungen für die Auswirkung?
  • Ist die Auswirkung mit Anzeigepflichten gegenüber Aufsichtsbehörden verbunden?

Ein hilfreiches Tool zur Eingrenzung der Bewertung ist der CSR-Risk-Check (hier verfügbar). Dieser ermöglicht eine erste Einschätzung potenzieller Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette.

Sollten Stakeholder in die Bewertung eingebunden werden?

Ja, die ESRS erwarten die Berücksichtigung von Stakeholder-Interessen im Wesentlichkeitsprozess (siehe ESRS 1 5.2. RdNr. 68 ff.). Wie genau die Einbindung erfolgen soll, bleibt jedoch offen. Unternehmen können aus verschiedenen Methoden wählen – im vorherigen Kapitel wurden drei Wege zur Stakeholder-Einbindung vorgestellt.

Können Näherungswerte und Sektorwerte genutzt werden?

Falls für bestimmte Teile der Wertschöpfungskette keine unternehmensspezifischen Daten verfügbar sind, können Sektorwerte oder Näherungswerte verwendet werden. Dies wird in den ESRS 1 5.2. RdNr. 68 ff. explizit erwähnt und ermöglicht eine größere Vergleichbarkeit der Ergebnisse, insbesondere in datenarmen Bereichen.

Festlegung von Schwellenwerten: Wann gilt eine Auswirkung als wesentlich?

Schwellenwerte für die Wesentlichkeit sind entscheidend für die endgültige Bewertung. An zwei zentralen Stellen, müssen diese Werte definiert werden:

1️⃣ Bewertungsfaktoren: Hier wird festgelegt, wann ein Bewertungsmaßstab (z. B. das Ausmaß einer Auswirkung) als gering, mittel oder hoch gilt.

2️⃣ Wesentlichkeitswert: Dieser ergibt sich aus der Aggregation von Schweregrad und Eintrittswahrscheinlichkeit und definiert letztlich, ob eine Auswirkung als wesentlich eingestuft wird.

Die ESRS geben keine exakte Methode zur Festlegung von Schwellenwerten vor. Unternehmen müssen daher ihre Methodik und die Eignung der Schwellenwerte nachvollziehbar begründen. Ein möglicher Ansatz ist die Nutzung des Medianwertes als Schwellenwert für die Wesentlichkeit.

Zusätzlich verweist ESRS E2 Rdnr. 24 auf die Nutzung ökologischer Schwellenwerte. Diese können sich beispielsweise an planetaren Belastungsgrenzen oder der Integrität der Biosphäre orientieren.

Fazit

Eine valide Bewertung von Auswirkungen erfordert nicht zwingend vollständige Lebenszyklusanalysen. Unternehmen können mit einem strukturierten Ansatz, Näherungswerten und der Berücksichtigung von Stakeholder-Perspektiven dennoch belastbare Ergebnisse erzielen. Wichtig ist, die verwendeten Schwellenwerte transparent zu definieren und zu begründen, um eine fundierte Wesentlichkeitsanalyse zu gewährleisten.

Bewertung von Risiken und Chancen: Integration in die Wesentlichkeitsanalyse

Die Bewertung von Risiken und Chancen bildet den finanziellen Teil der Wesentlichkeitsanalyse. Sie zielt darauf ab, zu verstehen, wie sich Nachhaltigkeitsaspekte auf die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens auswirken können. Dabei stellt sich die Frage, ob Unternehmen mit dieser Analyse nicht eine zweite, parallele Risikomanagementbewertung einführen.

Doppelstruktur oder sinnvolle Ergänzung?

Tatsächlich kann die finanzielle Wesentlichkeitsbewertung Überschneidungen mit dem bestehenden Risikomanagement eines Unternehmens aufweisen. Langfristig ist es daher sinnvoll, die Outside-In-Betrachtung der Wesentlichkeitsbewertung mit dem betrieblichen Risikomanagement zusammenzuführen. Ziel sollte ein ganzheitliches Risiko-Chancen-Bewertungssystem sein, das sowohl betriebliche als auch nachhaltigkeitsbezogene Finanzrisiken integriert.

Einbindung von Stakeholdern in die Risiko- und Chancenbewertung

Wie bereits bei der Bewertung von Auswirkungen erwarten die ESRS eine Berücksichtigung von Stakeholder-Interessen im Wesentlichkeitsprozess (siehe ESRS 1, Abschnitt 3.4). Allerdings lassen die Standards offen, wie genau Stakeholder einbezogen werden müssen. Unternehmen können daher verschiedene Methoden wählen – im Schritt 3 wurden bereits drei Wege zur Stakeholder-Einbindung vorgestellt.

Festlegung von Schwellenwerten: Wann ist ein Risiko oder eine Chance wesentlich?

Die Definition von Schwellenwerten für die Wesentlichkeit von Risiken und Chancen erfolgt, wie bei den Auswirkungen (vorangegangener Abschnitt) an zwei zentralen Stellen:

1️⃣ Bewertungsfaktoren: Hier wird bestimmt, wann ein Risiko oder eine Chance zum Beispiel als gering, mittel oder hoch eingestuft wird. Diese Faktoren können sowohl qualitativ als auch quantitativ definiert werden.
2️⃣ Wesentlichkeitswert: Dieser setzt sich aus der Schwere und der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Risikos oder einer Chance zusammen.

Die ESRS geben auch hier keine exakte Methode zur Festlegung dieser Schwellenwerte vor. Unternehmen müssen daher eine eigene, nachvollziehbare Methodik entwickeln und dokumentieren. Der Ansatz den Medianwertes als Schwellenwert für die Wesentlichkeit zu nutzen, ist hier ebenfalls möglich.

Fazit

Die Bewertung von Risiken und Chancen sollte nicht als isolierter Prozess betrachtet werden, sondern langfristig in das bestehende Risikomanagement integriert werden. Die Einbindung von Stakeholdern kann zusätzliche Perspektiven liefern, bleibt aber methodisch flexibel. Die Definition von Schwellenwerten ist ein wichtiger Baustein der Wesentlichkeitsbewertung – Unternehmen sollten ihre Herangehensweise klar dokumentieren und begründen, um eine belastbare Einschätzung zu gewährleisten.

Zusammenführung zur doppelten Wesentlichkeitsanalyse

Die finale Zusammenführung der Ergebnisse aus der Inside-Out- und Outside-In-Betrachtung bildet das Herzstück der doppelten Wesentlichkeitsanalyse. Dabei stellt sich für viele Unternehmen die Frage, wie die Ergebnisse am besten visualisiert und strukturiert werden können.

Besteht die Pflicht zur Erstellung einer Wesentlichkeitsmatrix?

Nein, eine Wesentlichkeitsmatrix ist nicht verpflichtend. Sie ist jedoch eine Option, die sich insbesondere als Kommunikationsinstrument eignet. Oft wird sie ähnlich einer Risikomatrix aufgebaut, in der die beiden Dimensionen der Wesentlichkeit – Auswirkungen auf Umwelt & Gesellschaft sowie finanzielle Risiken und Chancen – abgebildet werden.

Ein häufiges Problem dabei ist die Wahl der richtigen Abstraktionsebene. Eine zu hohe Aggregation kann dazu führen, dass wichtige Details verloren gehen, während eine zu detaillierte Darstellung unübersichtlich wird.

Für interne Analysen empfehlen sich detailliertere Auswertungen, die zusätzlich

  • Wertschöpfungsketten,
  • Zeithorizonte und
  • Unsicherheiten in den Bewertungen berücksichtigen.

Wann wird ein ESRS-Set für die Berichterstattung aktiviert?

Nach unserer Einschätzung tritt die Verpflichtung zur Berichterstattung über ein spezifisches ESRS-Set ein, sobald mindestens ein IRO innerhalb des zugeordneten Sets als wesentlich eingestuft wird. Das bedeutet: Überschreitet ein identifiziertes Risiko, eine Chance oder eine Auswirkung die festgelegten Schwellenwerte, muss das entsprechende ESRS-Set in die Berichterstattung aufgenommen werden. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass alle Angaben in dem Themenset zu berichten sind.

Müssen alle Datenpunkte bereits ab dem ersten Jahr berichtet werden?

Nein, Unternehmen können von Angabepflichterleichterungen gemäß ESRS 1, Anlage C profitieren.

Für Unternehmen mit weniger als 750 Mitarbeitenden bedeutet das, dass im ersten Jahr nur Angaben zu bestimmten ESRS-Themen erforderlich sind,:

  • ESRS E1 (Klimawandel),
  • ESRS E2 (Verschmutzung),
  • ESRS E3 (Wasser- & Meeresressourcen),
  • ESRS E5 (Biodiversität & Ökosysteme),
  • ESRS G1 (Governance, Verhalten & Kultur) und
  • ESRS 2 (allgemeine Offenlegungen).

Darüber hinaus gibt es weitere Angabepflichterleichterungen in den Themensets und für Unternehmen mit über 750 Mitarbeitenden.

Aber auch hier gilt: Nur wenn ein IRO innerhalb eines dieser Sets als wesentlich eingestuft wurde, greifen die entsprechenden Angaben.

Was sind Datenpunkte?

Der Begriff Datenpunkt umfasst alle nach den ESRS geforderten Informationsangaben. Diese können sein:

  • Quantitative Werte (z. B. Treibhausgas-Emissionen, Anzahl betroffener Stakeholder)
  • Qualitative Aussagen (z. B. Beschreibungen von Risikomanagement-Prozessen oder Nachhaltigkeitsstrategien)

In vielen ESRS-Sets überwiegen die qualitativen Datenpunkte. Besonders auffällig ist dies z. B. bei ESRS S3 (betroffene Gemeinschaften) und ESRS S4 (Endverbraucher & Kunden), wo es gar keine quantitativen Datenpunkte gibt.

Fazit

Die Zusammenführung der Wesentlichkeitsanalyse erfordert eine gut durchdachte Strukturierung der Ergebnisse. Während eine Wesentlichkeitsmatrix als Orientierungshilfe dienen kann, sind für interne Analysen detailliertere Methoden ratsam. Zudem sollten Unternehmen ihre Berichterstattung strategisch planen, insbesondere unter Berücksichtigung der stufenweisen Umsetzungspflichten in den ersten Jahren der CSRD-Berichterstattung.

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Michael Jenkner
Themenbereiche Nachhaltigkeitsstrategie und -berichterstattung

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