Michael Jenkner and Toni Koç sind als Geschäftsführer und Partner bei plant values langjährige Experten in der strategischen Nachhaltigkeitsberatung. Ihre Erfahrung bringen sie unter anderem auch in ihrer Rolle als Juroren beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis (DNP) ein – Deutschlands bedeutendster Auszeichnung für ökologisches und soziales Engagement.
Im Interview teilen sie ihre Erfahrungen aus der Juryarbeit und geben wertvolle Einblicke in die Bewertung von Nachhaltigkeitsstrategien. Was macht ein Unternehmen zum Vorreiter? Welche typischen Schwächen sehen sie immer wieder? Und worauf sollten Unternehmen achten, wenn sie beim DNP antreten wollen?
„Eine Strategie ohne Ziele ist nicht mehr als ein Wunschzettel“
1. Welche Rolle spielt eine klar formulierte Nachhaltigkeitsstrategie bei der Bewertung von Unternehmen im Rahmen des Deutschen Nachhaltigkeitspreises? Welche Faktoren oder Inhalte in einer Nachhaltigkeitsstrategie sind für euch als Jury besonders ausschlaggebend, um ein Unternehmen als zukunftsweisend einzuschätzen?
Toni Koç:
Das kommt tatsächlich auf das Unternehmen an. Vor allem kleinere Unternehmen brauchen nicht zwingend eine Nachhaltigkeitsstrategie im klassischen Sinne mit Themen-Strukturebenen, Beschreibungen und Zielhierarchien. Was wichtig ist, sind klar erkennbare langfristige Nachhaltigkeitsziele. Viele Unternehmen zählen gern ausführlich auf, was sie in den letzten Jahren getan und erreicht haben. Das ist natürlich wichtig, gerade auch, um andere zu inspirieren. Sie „vergessen“ dann allerdings ihre Pläne zu kommunizieren.
Da wir alle noch nicht am Ende der Nachhaltigkeitsleiter angekommen sind, ist es wichtig zu zeigen, dass man sich der offenen Herausforderungen bewusst ist und wie man dort hin kommen will. Das bedeutet, dass erkennbar sein muss, dass die wichtigen Herausforderungen, also die wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen, angegangen werden.
Eine Hochschule, die sich ambitioniert auf Betriebs-Themen, z.B. Klimaneutralität und einen biodiversen und sozial-inklusiven Campus stürzt, aber nicht adressiert, wie Nachhaltigkeit in den Curricula und den Forschungsthemen gestärkt wird, vernachlässigt Nachhaltigkeit in ihrem „Kerngeschäft“. Aufbauend auf den wesentlichen Themen müssen dann ambitionierte Ziele gesetzt werden. In den meisten Fällen wird allein das Ziel z.B. „Bis 2045 sind wir in Scope 1 und 2 klimaneutral“ nicht ausreichend sein, um beim DNP als Vorreiter bewertet zu werden.
Michael Jenkner:
Allgemein kann ich sagen, jede klar strukturierte Nachhaltigkeitsstrategie, die von den Unternehmen – zumeist in Nachhaltigkeitsberichten – veröffentlicht wird, hilft ungemein bei der Beurteilung. Insbesondere dann, wenn sich an allgemeine Berichtsstandards gehalten wurde (bspw. GRI oder DNK), da dies die Orientierung für die Jury-Mitglieder stark vereinfacht. Ausschlaggebende Faktoren zur Beurteilung einer besonderen Vorreiterrolle sind sehr branchenspezifisch. So spielten bei Trinkwasser- und Abwasserunternehmen klare Ziele und Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Ressourcenkreislauf Wasser eine wichtige Rolle (wie Schwammstadtkonzepte, Grauwasserverwendung, etc.). Wohingegen bei Vermögens- und Beteiligungsgesellschaften stärker der Fokus auf Ziele und Maßnahmen im Kontext eines echten Impact-Investings und einer nachvollziehbaren THG-Bewertung des Portfolios liegt.
Keine Vorreiter können Unternehmen sein, die ihre Klimaziele in den vergangenen Jahren revidiert haben bis hin zur vollständigen Entfernung aus der öffentlichen Kommunikation oder Unternehmen, die mit Kapital oder anderen Ressourcen international geächtete Praktiken unterstützen, wie die Produktion und den Handel mit Streubomben. Zusammenfassend kann ich sagen, dass klar nachvollziehbare Ziele, die wenig Interpretationsspielraum zulassen und mit denen sich ein Unternehmen auch öffentlich messbar macht, definitiv von Vorteil sind.
Von der Strategie zur Umsetzung – aber bitte messbar
2. Wie wichtig ist die Verknüpfung von Strategie und Umsetzung – also nicht nur Ziele aufzustellen, sondern diese auch messbar und überprüfbar zu hinterlegen und wie gut lässt sich das bewerten?
Toni Koç:
Den Punkt finde ich unabhängig vom DNP für die Effektivität einer Strategie essenziell. Ehrlicherweise verlaufen viele Strategieprozesse derart, dass in langen Prozessen, teils hitzigen Diskussionen und viel Ringen um Worte, am Ende sehr qualitative Aussagen stehen, die alle Beteiligten mittragen können, weil sie so generisch sind. Oft fehlt dann der Schritt, entschlossen daraus Ziele abzuleiten, die messbar sind. Erst damit aber kann sich die Organisation wirklich daran reiben und z.B. Ressourcen (personell als auch finanziell) zwischen den verschiedenen Organisationszielen verteilen. Und auch erst dann haben Verantwortliche die Orientierung, worauf sie hinarbeiten sollen.
Eine qualitative Strategie mit allgemeinen Aussagen wie „Wir setzen uns dafür ein, dass der ökologische Fußabdruck unserer Produkte verringert wird“ deutet für mich auf das Risiko hin, dass keine ambitionierten Schritte umgesetzt werden können. Darüber hinaus ist für mich Umsetzung mehr als messbare Ziele, sondern u.a. auch die Vorbereitung auf einen Change-Prozess. Wenn ich z.B. ein ambitioniertes Ziel wie die „Umstellung von 3 Produktlinien auf umweltpositive Produkte“ sehe und gleichzeitig ein Trainingsprogramm zu Produkt-Umweltauswirkungen für die Mitarbeitenden in Produktentwicklung, Marketing und Beschaffung geschaffen wird , dann weiß ich, dass jemand die richtigen Rahmenbedingungen schafft.
Michael Jenkner:
Eine Strategie ohne klare mit ihr verbundene Maßnahmen zur Zielerreichung ist nicht viel mehr als ein „Wunschzettel“. Ziele sollten so gut es geht klar messbar und im Zeitverlauf vergleichbar formuliert sein, jedoch sollte auch beachtet werden, dass Ziele noch weitere Anwendungszwecke haben, die eine „blumige“ Formulierung notwendig machen. Nachhaltigkeitsziele sollen interne Stakeholder motivieren und alle mitnehmen. Sie sollen begeistern und eine nachhaltige Entwicklung zu einem gemeinsamen Wunsch, zu einer gemeinsamen Ambition machen. Wirklich gut lässt sich die Zielerreichung oder der Zielfortschritt nur bewerten, wenn Unternehmen bereits über mehrere Jahre kontinuierlich Informationen standardisiert bereitstellen, bspw. mit Nachhaltigkeitsberichten.
Transparenz in der Lieferkette bleibt eine Schwachstelle
3. Welche typischen Schwächen oder Lücken in Nachhaltigkeitsstrategien begegnen euch als Jurymitglieder regelmäßig?
Michael Jenkner:
Eine häufige Lücke ist die Betrachtung der gesamten vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette. Es wird in den Ausführungen vieler Unternehmen immer wieder deutlich, dass noch sehr viele unbekannte Faktoren in der Wertschöpfungskette stecken und eine zielgerichtete Strategie somit oft nicht möglich ist. Bei vielen Nominierten zeigt sich jedoch, dass aktuell große Anstrengungen unternommen werden, mit Hilfe von Zertifizierungen und KI-gestützten Systemen mehr Klarheit über die wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen in der Wertschöpfungskette zu erlangen. Einige nominierte Unternehmen haben auch explizit darauf verwiesen, dass die schrittweise Einführung von Produktpässen im Rahmen der Umsetzung der Ecodesign for Sustainable Products Regulation (ESPR) als ein möglicher Hoffnungsträger für mehr Transparenz gilt. Schlussendlich sind die Anstrengungen zu mehr Transparenz in den Wertschöpfungsketten die notwendige Vorstufe, um klare Ziele und Maßnahmen festzulegen und damit die Lücken in den Nachhaltigkeitsstrategien weiter zu schließen.
Mut zählt – aber Ergebnisse auch
4. Wie bewertet ihr Unternehmen, die ambitionierte Strategien haben, aber noch am Anfang der Umsetzung stehen, im Vergleich zu Unternehmen, die schon länger umsetzen?
Toni Koç:
Da es beim DNP um die Vorreiter geht und andere sich diese als Vorbilder nehmen können sollen, bewerte ich jene mit motivierenden umgesetzten Zielen und Maßnahmen besser. Gerade in der Nachhaltigkeits-Community schafft das die Grundlage, dass ich mich als anderes Unternehmen mit diesem Vorreiter austauschen und lernen kann, wie jene Herausforderungen gemeistert wurden, vor denen ich stehe. Ich denke, so etwas schafft großen Impact. Etwas anders sieht das aus, wenn ein Unternehmen gerade dabei ist, einen sehr mutigen großen Schritt zu gehen und z.B. mit einigem Risiko die komplette Produktpalette entgiftet (ähnlich wie FRoSTA damals). Solchen Mut möchte ich auch ohne „Proof-of-Success“ bereits wertschätzen, weil wir Mut in unserer jetzigen Zeit einfach brauchen.
Michael Jenkner:
Da schließe ich mich Toni voll und ganz an.
Innovation ist kein Bonus, sondern Bedingung
5. Welche Bedeutung messt ihr dem Thema Innovation im Kontext von Nachhaltigkeitsstrategien bei – z. B. neue Geschäftsmodelle oder Produktideen?
Toni Koç:
Oft ist das meiner Erfahrung nach essenziell. Wir werden die Nachhaltigkeitsziele in den meisten Fällen nicht erreichen, indem wir unsere bestehenden Produkte und Geschäftsmodelle ein wenig grüner anmalen. Das reicht entweder nicht aus, um Ressourcenverbräuche und gesellschaftliche Wirkungen um das notwendige Maß zu verbessern. Oder es wird dazu führen, dass es für Unternehmen nicht dauerhaft wirtschaftlich attraktiv ist. Um das zu erreichen, müssen wir Wertschöpfungen, Produktnutzung und Kundenmehrwerte intensiv neu denken. Der Wille, die Kreativität und auch die Kompetenzen fehlen oft. Wenn das allerdings zusammenkommt, dann können wirklich erfolgreiche Veränderungen angestoßen werden.
Michael Jenkner:
Innovatives Denken und Handeln ist schlussendlich der Schlüssel, um die Transformation hin zu einer nachhaltig gedachten Wertschöpfungskette zu erreichen. Um dies beim DNP bewerten zu können, müssen die Unternehmen bewusst Leuchtturmprojekte oder großflächige Transformationsvorhaben in ihren Profilen oder Nachhaltigkeitsberichten herausstellen.
Glaubwürdigkeit schlägt Hochglanzkommunikation
6. Welche Rolle spielt die Glaubwürdigkeit und Konsistenz zwischen Communication, Bericht und tatsächlichem Handeln bei der Bewertung und woran lässt sich das festmachen?
Toni Koç:
Das ist absolut essenziell. Ein Beispiel will ich herausstellen: Wir haben es dieses Jahr in den DNP-Jurys erlebt, dass in diversen Branchen Unternehmen ihre Klimaneutralitätsziele um teils 5-10 Jahre nach hinten geschoben haben. Das ist sowohl aus Impact-Sicht als auch bezüglich Glaubwürdigkeit schwerwiegend. Natürlich gibt es immer gute Gründe dafür, aber wenn Ziele von einem Jahr aufs nächste so drastisch verändert werden, zeigt das, dass bei dem Unternehmen kein Verlass auf ausdauernde und ambitionierte Arbeit für Nachhaltigkeit ist. Leider ist das bisher (ohne maschinenlesbare Berichte) ganz schön aufwendig herauszufinden, aber genau die Arbeit lohnt sich. An der Stelle ein großes Dankeschön an das Team der Leuphana Hochschule!
Michael Jenkner:
Glaubwürdiges Handeln und selbstkritisches Berichten sind die maßgebenden Punkte. Für mich zeigt sich das in vielen Fällen darin, wie mit der Nichterreichung von Zielen und kontroversen Entscheidungen umgegangen wird. Unternehmen, die darüber selbst transparent berichten, eine kritische Würdigung der Umstände vornehmen und Schlussfolgerungen ziehen, sind für mich klar im Vorteil. In unserer jetzigen Zeit sollte sich auch kein Unternehmen der Illusion hingeben, dass derartige Punkte nicht in die Bewertungsprozesse einfließen, nur weil die Punkte nicht ins eigene DNP-Profil eingetragen werden. Jedes Mitglied der Jury kann mit einfachen Prompts in KI-Research-Modellen schnell eine gute Übersicht erlangen und die Erkenntnisse nach Validierung in die Bewertung einfließen lassen.
Empfehlungen für Bewerber:innen des DNP
7. Welche Empfehlung würdet ihr Unternehmen geben, die beim DNP antreten wollen – worauf sollten sie (in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie) besonders achten?
Toni Koç:
Meine Empfehlung ist tatsächlich unabhängig vom DNP systematisch, ambitioniert und auch ein wenig mutig an Nachhaltigkeit zu arbeiten. Zu verstehen, wo die Impacts und auch Chancen sind, dort innovative Lösungen herauszuarbeiten und dann mit Ausdauer und Motivation loszugehen. Vorreiter entstehen durch authentischen Willen, Geschick bezüglich Nachhaltigkeit und Business und natürlich einer guten Portion Glück. Wer so vorangeht, macht alles richtig. Naja, und dann muss das klar kommuniziert werden, damit wir als Juror:innen auch davon wissen und es verstehen.
Michael Jenkner:
Die Nachhaltigkeitsstrategie sollte nicht in Hinblick auf den DNP gestaltet werden. Mit dem DNP wird die eigene nachhaltige Entwicklung gewürdigt, mit dem Fokus, Unternehmen hervorzuheben, welche als Vorreiter für andere Branchenteilnehmer dienen können. Eine gute Strategie zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur die „schönen“ und gesellschaftlich erwünschten Themen anspricht, sondern auch mit unscheinbareren, aber wesentlichen Auswirkungen (bspw. auf betroffene Gemeinschaften entlang der Wertschöpfungskette oder Themen der Datenethik oder Steuermoral) und auch die Nachhaltigkeitsrisiken anspricht.
Oft muss eine Strategie auch im ersten Moment widersprüchliche Ziele verfolgen, bspw. wenn ein Wasserversorger sich selbst ein 1,5-Grad-Klimaschutzstrategie gibt und gleichzeitig eine Klimaanpassungsstrategie für eine 4,0-Grad-Welt aufstellt. Wichtig aus meiner Sicht ist, in jeder Strategie kein starres Dokument zu sehen, vergleichbar mit einem sozialistischen 5-Jahres-Plan, sondern eine Nachhaltigkeitsstrategie als flexibles Instrument zu sehen. Eine Strategie sollte die klaren Ambitionen und damit anvisierten Ergebnisse beinhalten, aber auch genug Raum für immer neue Wege bieten. Mit einer guten Strategie verbunden sind demnach zumeist auch Maßnahmen der Organisationsentwicklung. Wichtig für den DNP-Prozess ist, dass all dies transparent und nachvollziehbar kommuniziert wird, und hierfür bietet es sich an, einen Nachhaltigkeitsbericht nach einem der anerkannten Standards formuliert zu haben.
Fazit: Nachhaltigkeit verlangt Strategie, Mut und Ehrlichkeit
Nachhaltigkeit ist kein Lippenbekenntnis. Unternehmen, die beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis punkten möchten, müssen Strategie, Umsetzung, Glaubwürdigkeit und Innovationskraft vereinen. Die Jury achtet genau auf messbare Ziele, glaubwürdige Kommunikation und transformative Ansätze. Vor allem aber zählt: Mut zur Veränderung und die Fähigkeit, daraus eine gemeinsame Ambition im Unternehmen zu machen.
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Michael Jenkner
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